Gehört ihr zu den Menschen, die kurz vor Weihnachten alle Räume und Schränke nach Weihnachtsgeschenken durchstöbern, um schon einmal einen Blick auf die zu erwartenden Gaben zu werfen? Bei Kindern ist das wohl ganz natürlich, aber bei Erwachsenen ist es meiner Meinung nach eher ungewöhnlich. Es ist wohl ein Verhalten, aus dem man mit der Zeit „herauswächst”. Oder gibt es hier womöglich eine Dunkelziffer? Vielleicht verstecken sich ja haufenweise heimliche Geschenke-Auspacker in unserer Mitte?
Eine durch und durch integre ältere Dame, die unserer Familie nahesteht, erzählte vor einigen Jahren, dass sie einmal in der Nacht vor Heiligabend klammheimlich und in aller Stille ein Paket geöffnet hat. Zu dem Zeitpunkt war sie schätzungsweise 75 Jahre alt und verbrachte die Feiertage bei ihren Kindern und Enkelkindern. Das Bettsofa, auf dem sie nächtigte, stand im selben Raum wie der Weihnachtsbaum, unter dem bereits alle Geschenke lagen. Sie konnte ihre Neugier einfach nicht bezähmen – sie stand nachts auf und öffnete in aller Heimlichkeit eines der Pakete, auf dem ihr Name stand!
Wenn Neugier eine Charakterschwäche ist, dann ist es jedenfalls eine ganz wunderbare. Ich für meinen Teil sehe Neugier als ein positives Lebenszeichen, das beweist, dass man sich seine Träume bewahrt hat. Vielleicht kann man diesen Wesenszug sogar als Tugend betrachten. Zum Beispiel wenn man von der Neugier angetrieben wird, Dingen auf den Grund zu gehen. Diese treibende Kraft führte im Laufe der Geschichte zu zahlreichen wissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen. Zweifellos ist es auch reine Neugier, die den Lebenswillen vieler älterer Menschen nicht versiegen lässt.
Selbstverständlich kann Neugier auch ungesund sein. Beispielsweise wenn man Dinge über andere Menschen in Erfahrung bringen möchte, um schlecht über sie zu reden oder um sie dazu zu bringen, nach der eigenen Pfeife zu tanzen. Das ist die Kehrseite der Medaille. Aber solange hinter der Neugier ein guter Wille steckt, finde ich es nicht verwerflich, dass man seinen Mitmenschen ein gewisses Maß an Neugierde entgegenbringt.
Ich kann mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern, ob ich als Kind heimlich meine Weihnachtsgeschenke geöffnet habe. Aber wenn dem so war, dann ist diese „Untat” mittlerweile verjährt. Allerdings habe ich Weihnachtsgeschenke für Freunde und Familienmitglieder gekauft, weil ich sie selbst gerne haben wollte. Und das ist nicht unbedingt ein schöner Charakterzug. Es ist so, als ob man für seine Schwester eine CD kauft, weil man diese selbst hören möchte (was eigentlich doppelt falsch ist, schließlich ist es kriminell, Kopien anzufertigen). Oder als ob man seiner Frau ein Buch schenkt, weil man es selbst lesen möchte. Ich behaupte nicht, dass ich in dieser Beziehung eine reine Weste habe...
Gerade lese ich ein Buch, das ich gekauft habe, weil ich es an Weihnachten verschenken möchte. Aber ich werde es noch vor Weihnachten ausgelesen haben. Vielleicht handelt es sich hier um einen Grenzfall. Gebrauchte Sachen zu verschenken, ist ja nicht verkehrt. Vielmehr ist es umweltbewusst. Ja, es ist die Liebe zur Umwelt, die mich antreibt!
War das nicht eine schöne Umschreibung für meine Neugier?